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ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN

Struktur und politische Zielsetzung

Die Anarchistischen Gruppierungen in Sachsen fordern die Auflösung des demokratischen Rechtsstaates zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft. In ideologischer Hinsicht sind bei ihnen fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten linksextremistischen Gruppierungen, wie den Autonomen, feststellbar. Insbesondere der Anarchosyndikalismus weist im Gegensatz zu den Autonomen einige spezielle Merkmale, wie einen höheren Organisationsgrad, auf. Allein schon dadurch können sich Anarchistische Gruppierungen deutlich von den Autonomen unterscheiden.

Organisationsgebundene und -ungebundene Anarchisten sind im Freistaat Sachsen hauptsächlich in Dresden und Leipzig vertreten.

Rolle der Gewalt

Anarchisten sehen sich analog zu Autonomen als Opfer von staatlicher Gewalt, ausgeübt durch die sog. „Repressionsorgane“ Polizei und Justiz. Eigene Gewaltausübung halten sie deshalb für ein legitimes Mittel der politischen Meinungsäußerung. Aus ihrer Sicht gibt es bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt ausdrücklich rechtfertigen.

Im Nachgang zu einer Brandstiftung an einem Fahrzeug des Unternehmens “Spie“ am 26. April in Leipzig schrieben selbsternannte „anarchist:innen“ in einem Bekennerschreiben auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetplattform „knack.news“: „Aus Solidarität mit allen Personen, die im Gefängnis oder auf der Straße kämpfen haben wir heute Nacht ein Auto der Knastbaufirma Spie abgefackelt. […] Nichts bringt unsere Herrschaftsfeindlichkeit so zum Ausdruck […], wie eine ihrer Maschinen in Flammen!“

Darüber hinaus drückt sich die Gewaltbefürwortung der Anarchisten im Versammlungsgeschehen aus. So hieß es in einem auf der Internetseite des Anarchist Black Cross Dresden (ABC Dresden) veröffentlichten Redebeitrag anlässlich des „Anarchistischen 1. Mai“ in Dresden wie folgt: „Und wenn die Bedingungen es erfordern, werden die Anarchist*innen zu den Waffen greifen, so wie es die Generationen vor uns getan haben.“

Demgegenüber lässt die organisationsgebundene anarchistische Gruppierung Freie Arbeiter*innenUnion (FAU) die Frage nach der Anwendung von Gewalt als legitimem Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele offen.

Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. In ihrer Zeitschrift „Direkte Aktion“, die sich nach eigenen Angaben „auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt“, heißt es dazu unmissverständlich: „Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. […] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab.“ Mit diesem Selbstverständnis steht die FAU im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

In ihrem Grundlagentext „Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der Freien Arbeiter*innen- Union (FAU)“ wird das Ziel der „Überwindung des Kapitalismus“ manifestiert, da dieser „auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen“.

Außerdem zielt die FAU darauf ab, den Staat zu zerschlagen und an dessen Stelle eine „Föderation der Syndikate“ (basisdemokratische Gewerkschaften) treten zu lassen. Das „Syndikat“ wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes in einer anarchistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angesehen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht.

Vor allem im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure, ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt.

Außerdem nimmt das Themenfeld „Antirepression“ bei Anarchisten der FAU einen hohen Stellenwert ein, indem beispielsweise das „Knastsystem“ der Bundesrepublik Deutschland infrage gestellt wird.

Die FAU Sektionen Erzgebirgskreis, Chemnitz und Freiberg gehörten im Berichtsjahr weiterhin organisatorisch dem Dresdner Syndikat an. Die FAU Plauen, welche zuvor organisatorisch der FAU Jena angeschlossen war, erreichte im Herbst des Berichtsjahres den Status eines eigenen Syndikates.

Die Mitgliederzahlen blieben auch im Berichtsjahr konstant.

Anarchosyndikalistische Gruppen treten im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf oder beteiligen sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Dabei zeigten sich im Berichtsjahr jedoch regionale Unterschiede zwischen den FAU-Akteuren, was sowohl den Umfang und die Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betraf.

Dresden

Einen Schwerpunkt der FAU in Sachsen bildet das mitgliederstarke Allgemeine Syndikat Dresden der FAU (FAU Dresden). Dessen Präsenz spiegelte sich im Berichtsjahr auch in den sozialen Medien wider. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen, beteiligte sich die FAU Dresden an sozialkritischen, nicht extremistischen Protesten unter Einsatz ihrer schwarz-roten Fahnen sowie von Transparenten. Beispielhaft dafür standen die Aktivitäten der FAU Dresden am 1. Mai. Anlässlich des jährlichen Versammlungsgeschehens gab es unter dem Motto „Anarchistischer 1. Mai“ nach einer Demonstration mehrere Informationsstände Anarchistischer Gruppierungen, darunter der FAU Dresden. Diese Präsenz soll der Gruppierung Eigenangaben zufolge einen Mitgliederzuwachs beschert haben. Außerdem bot die FAU Dresden Unterstützung bei arbeitsrechtlichen Konflikten an. Diese äußerte sich in regelmäßig stattfindenden Sprechstunden sowie in der Organisation juristischen Beistands für Betroffene bei Arbeitskämpfen und durch eine Kundgebung anlässlich des Verfahrens eines FAU-Mitglieds gegen einen Lieferdienst vor dem Arbeitsgericht Dresden.

Leipzig

Im Berichtszeitraum führte die FAU Leipzig öffentlichkeitswirksame Aktionen für eigene Mitglieder durch. Wie in den Vorjahren unterstützte sie im Rahmen von Kundgebungen Arbeitskämpfe ihrer Mitglieder beispielsweise im Sportgewerbe (Fitnessstudio) und berichtete zudem in den sozialen Medien ausführlich über anhängige bzw. abgeschlossene Verfahren bei Arbeitsgerichten. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit weiter zu erhöhen, setzt die FAU Leipzig bewusst auf die Nutzung verschiedener Kanäle in den sozialen Medien und bietet regelmäßige Beratungen in ihrem Büro an. Die FAU Leipzig ist der FAU Dresden hinsichtlich ihres Aktions- und Mitgliederpotenzials ebenbürtig.

Unverändert macht die FAU insbesondere durch die Unterstützung lokaler Arbeitskämpfe sowie die Mobilisierung für und Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, wie am 4. März vor der JVA Chemnitz anlässlich des „feministischen Kampftages im Knast“ oder am 1. Mai, auf sich aufmerksam. Ihr Personenpotenzial ist stabil, konzentriert sich aber weiter vorrangig auf die urbanen Zentren. Dort sind die Syndikate schwerpunktmäßig mit Beratungen und Versammlungen im Bereich prekärer Beschäftigungsverhältnisse aktiv, was ihrem Verständnis von anarchosyndikalistischer „Basisarbeit“ entspricht.

ABC Dresden lehnt das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates, insbesondere seiner Sicherheits- und Justizbehörden, ab. Ziel ist deren Überwindung zur Erreichung einer anarchistischen Gesellschaft. Im Fokus des Kampfes gegen „staatliche Repression“ stehen Haftanstalten. Die Erreichung des Endziels, einer „Gesellschaft ohne Knäste“, begründet ABC Dresden wie folgt: „Diejenigen, die durch Strafe und Gefängnis diszipliniert werden sollen, sind jene Menschen, die schon vorher aufgrund ihrer Klasse, politischen Überzeugung, Ethnizität, Religion, äußerlichen Merkmale (bspw. Hautfarbe) oder Geschlecht durch Regierungen, Institutionen und die Gesellschaft unterdrückt sind. Das macht den Gefängniskomplex zu einer politischen Angelegenheit an sich. […] So richtet sich unsere Knastkritik gegen das System an sich, und wir vertreten die Meinung, dass jegliche Zwangsanstalten – alle Knäste, Abschiebeknäste, Zwangspsychiatrien – besser Baulücken sein sollten.“

Im Rahmen öffentlicher Aktionen versucht diese Anarchistische Gruppierung, ihre linksextremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich das ABC Dresden vordergründig als Gruppe für die Gefangenenhilfe ausgibt, verschleiert sie, dass sie grundsätzlich die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt.

Wegen der intrinsischen Verknüpfung zum Themenfeld „Antirepression“ bestehen viele Verbindungen zur Autonomen Szene und anderen anarchistischen Akteuren wie der FAU. Überschneidungen im Personen- und Aktionspotenzial gelten daher als wahrscheinlich.

Um ihren politischen Zielsetzungen im Bereich „Antirepression“ Nachdruck zu verleihen, wurden im Berichtsjahr sowohl öffentlichkeitswirksame Versammlungen als auch Hilfen für von der Szene akzeptierte Gefangene organisiert. Aktivitäten in diesem Zusammenhang waren Demonstrationen gegen Gefängnisse am 4. März vor der JVA Chemnitz und am 31. Dezember vor der JVA Dresden, Spendensammlungen und das Schreiben von Briefen an Gefangene. In einem auf der linksextremistischen Online-Plattform de.indymedia.org und der eigenen Internetseite publizierten Aufruf erklärte die Gruppe: „Das Briefeschreiben sollte zu einem der Rituale werden, die in der revolutionären Bewegung immer präsent sind.“ Sogenannte Brieffreundschaften gelten innerhalb der Szene als essenziell, um den Kontakt zu anarchistischen Gefangenen aufzubauen und diese zu unterstützen. Inhaftierte werden auf eine Art glorifiziert und unterstützt, dass ihnen möglicherweise beabsichtigte Szene-Ausstiege und Resozialisierungsbemühungen erschwert werden.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges erschloss sich das ABC Dresden mit seinen Aktivitäten zur Unterstützung von Anarchisten in der Ukraine ein Hauptaktionsfeld. Dies offenbarte sich durch die Initiierung von Spendensammlungen und öffentlichen Veranstaltungen, beispielsweise am 24. Februar unter dem Motto „Bis der Kreml niederbrennt!“. In Beiträgen auf ihrer Internetseite informiert die Gruppierung detailliert über die angebliche Höhe eingegangener Spenden und deren konkrete Verwendungszwecke. Demnach seien im April 2023 bereits über 300.000 Euro eingegangen, die u. a. für den Erwerb von Schutzausrüstung und sonstigem Equipment für „anarchistische/antiautoritäre“ Einheiten verwendet wurden.

Insgesamt ist beim ABC Dresden eine starke internationale Ausrichtung erkennbar. So beteiligte sich die Gruppe u. a. am sog. „anti-autoritären Treffen Anarchy 2023“ in Saint-Imier (Schweiz), das der internationalen Vernetzung Gleichgesinnter dient.

Das ABC Dresden stößt mit seinen Aktionen auf eine Akzeptanz sowohl bei anderen Anarchisten als auch bei der Autonomen Szene. So unterstützen sich diese Linksextremisten beispielsweise gegenseitig bei der Organisation von und der Mobilisierung für Versammlungen. Dies ist durch ihre Verknüpfung zum Aktionsfeld „Antirepression“ mit einhergehender Ablehnung der „Repressionsorgane“ Polizei und Justiz möglich. Ein gleichbleibendes Aktions- und Mobilisierungsniveau des ABC Dresden auch im nächsten Jahr erscheint vor diesem Hintergrund realistisch.

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