Legalistischer Islamismus
Sog. legalistische islamistische Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strikten Auslegung des Korans, die nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine unmittelbare Gefährdung geht von diesen Gruppierungen nicht aus, da sie nicht gewaltorientiert sind.
Ideologische Richtschnur für legalistische islamistische Gruppierungen sind die Weisungen der Scharia. Nach ihrer Auffassung darf die Scharia als islamische Rechts- und Lebensordnung nicht relativiert werden. Ein Großteil ihrer ideologischen Grundsätze ist jedoch unvereinbar mit den im Grundgesetz verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates, der Religionsfreiheit und einer auf der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und auf der Volkssouveränität basierenden politischen Ordnung.
Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst nur Teilbereiche der Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren, wie z. B. durch direkte Einflussnahme im Bildungswesen. Langfristig streben sie aber die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamistischen Staat an.
Legalistische Islamisten verfolgen eine Doppelstrategie („Wolf im Schafspelz“): Sie sind bestrebt, mittels Lobbyarbeit ihre auf islamistischer Ideologie basierenden Vorstellungen zum gesellschaftlichen und individuellen Leben auf legalem Weg sowie unter Ausnutzung der Möglichkeiten des deutschen Rechtsstaates durchzusetzen. Repräsentanten dieser Organisationen geben sich in der Öffentlichkeit offen, tolerant und dialogbereit. Unter Vortäuschung demokratischer Absichten versuchen sie, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu erlangen. Nach innen bzw. in den Gemeinden sind sie jedoch bestrebt, insbesondere junge Muslime von ihren islamistischen Positionen für ein Scharia- konformes Leben zu überzeugen. Dabei werden auch solche Prinzipien und Werte vermittelt, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind und darüber hinaus die Entwicklung islamistisch geprägter Parallelgesellschaften unterstützen.
In Deutschland und damit auch im Freistaat Sachsen werden legalistische Islamisten hauptsächlich in drei Bereichen aktiv: Einflussnahme auf die Politik, Mitgliedergewinnung und Bildungsarbeit. Dabei sind sie oftmals in übergeordneten muslimischen Verbänden organisiert. Mittels dieses „Sprachrohrs“ versuchen sie, bestimmte gesellschaftliche Themen, wie die staatliche Imam-Ausbildung oder den islamischen Religionsunterricht, zu beeinflussen und sich dem Staat als Ansprechpartner für die Belange von Muslimen anzubieten. Zudem versuchen sie, für ihre jeweilige Organisation und im Sinne der Ideologieverbreitung neue Mitglieder zu werben. Hierzu unterhalten sie Moschee- und Kulturvereine oder organisieren Vorträge und andere Veranstaltungen. Auch die Jugend- und Bildungsarbeit ist ein wichtiger Bereich, in dem sie aktiv sind. Es werden Koran- und Sommerschulen sowie zielgruppenorientierte Schulungs- und Freizeitaktivitäten in Deutschland organisiert. Die Jugend- und Bildungsarbeit dient vor allem dem Zweck, die eigene Islaminterpretation zu verbreiten, um damit geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren.
Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit
Ziel der MB ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage der Scharia. Eine Trennung von Religion und Staat ist nach ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie demnach nicht denkbar. Ein säkularer Staat wird gemäß dem Leitspruch „Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser Wunsch“ ausdrücklich abgelehnt.
Diese Ideologie sowie die von der MB angestrebte islamistische Staatsform sind nicht mit demokratischen Grundprinzipien, wie dem Recht auf freie Wahlen, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie der Meinungs- und Religionsfreiheit, vereinbar.
Zahlreiche islamistische, zum Teil auch terroristische Organisationen, wie die palästinensische Hamas, sind aus der MB hervorgegangen. Seit den 1970er-Jahren spricht sich die MB für den Verzicht auf Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele aus. Davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen „Besatzer“, worunter vor allem Israel verstanden wird.
Die „Wolf im Schafspelz“-Strategie legalistischer Islamisten wurde in Ägypten während des sog. Arabischen Frühlings besonders deutlich. So stellte die MB von 2011 bis 2013 nicht nur die stärkste Fraktion im Parlament, sondern mit Mohammed MURSI von 2012 bis 2013 auch den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die Muslimbrüder nicht Teil eines demokratischen Systems sind, sondern dass sie demokratische Wahlen als Sprungbrett nutzen wollten, um ihre Vorstellung von einem islamistisch geprägten politischen System durchzusetzen. Dies wurde zum Beispiel am ersten Entwurf für eine neue Verfassung, der ausschließlich von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppierungen erarbeitet wurde, deutlich. Er sah neben einer massiven Beschneidung von Frauenrechten die Pflicht zur Überprüfung jedes neuen Gesetzes durch islamistische Gelehrte auf seine Islamkonformität vor. Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter Präsident Abdel FATTAH-AL-SISI im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft.
Aktivitäten
In Deutschland tritt die MB zwar nicht offen in Erscheinung, wird aber von Organisationen wie der Deutschen muslimischen Gemeinschaft (DMG) als Teil einer weltweiten „islamischen Bewegung“ angesehen. Eine weitere Organisation aus dem Spektrum der MB ist der Marwa Elsherbiny Kultur- und Bildungszentrum Dresden e. V. (MKBD) im Freistaat Sachsen.
Auch in Europa ist die MB mit einer Vielzahl von Organisationen vertreten, wie z. B.
- der „Föderation der islamischen Organisationen in Europa“ (FIOE) mit Sitz in Brüssel und
- dem „Europäischen Fatwa-Rat“ (ECFR) mit Sitz in Dublin.
Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit
Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation der Anhänger der MB in Deutschland. In Sachsen ist sie jedoch nicht offiziell vertreten. Bis September 2018 nannte sie sich Islamische Gemeinschaft in Deutschland. Die Umbenennung in Deutsche muslimische Gemeinschaft soll die Verbundenheit ihrer Mitglieder mit Deutschland suggerieren.
Die DMG tritt gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als dialogbereiter Vertreter eines gemäßigten, weltoffenen Islam auf. Sie verfolgt eine gewaltfreie, an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, vermeidet bei öffentlichen Auftritten bewusst verfassungsfeindliche Äußerungen und jedwedes Bekenntnis zur MB. Zahlreiche, nach außen hin verschleierte Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen jedoch die Zugehörigkeit der DMG zum weltweiten MB-Netzwerk.
Mit dieser Taktik verfolgt die DMG das Ziel, mittel- bis langfristig eine führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Die DMG richtet sich somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Aktivitäten
Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit über 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland.
Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit
Vorstand und somit Entscheidungsträger des MKBD ist Dr. Saad ELGAZAR, welcher der MB zuzuordnen ist. Auch liegen Anhaltspunkte für Kontakte des MKBD zu den extremistischen Gruppierungen MB bzw. DMG vor. Der Verein MKBD zielt nach außen hin u. a. auf die Förderung der Kultur, der Religion und der Integration von Migranten in die hiesige Gesellschaft ab und betont dabei die Bedeutung des Gedankens der Völkerverständigung sowie der Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Getarnt unter diesem Deckmantel ist das MKBD jedoch vielmehr bestrebt, den hier lebenden Muslimen die extremistische Ideologie der MB bzw. der DMG nahe zu bringen und zu verbreiten.
Aktivitäten
Über einen Zeitraum von einigen Jahren hat Dr. Saad ELGAZAR im Internet in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken zahlreiche Beiträge veröffentlicht, mit denen er ein eindeutiges und offenes Bekenntnis zur extremistischen MB abgab, ihre Aktivitäten begrüßte und darüber hinaus auch eine antisemitische Weltanschauung erkennen ließ. So verbreitete ELGAZAR im Internet Beiträge von führenden und einflussreichen MB-Vertretern bzw. berichtete über diese, so auch über Yusuf AL-QARADAWI (inoffizielle Leitfigur und Chefideologe der MB), Hassan AL-BANNA (Gründer der MB), und Sayyid QUTB (einstiger Hauptideologe der MB). In seinen Äußerungen und Kommentaren unterstrich er die religiösen Leistungen dieser Personen für die MB und rief die Muslime dazu auf, den wahren Kern des Islam zu leben. Gemeint ist in diesem Zusammenhang das Islamverständnis der zitierten MB-Ideologen.
ELGAZAR verfasste darüber hinaus auch Artikel, z. B. unter der Überschrift „Die Lösung ist die Muslimbruderschaft“, welche die MB als beste Lösung für alle aktuellen Probleme in Ägypten präsentieren.
Einige seiner Äußerungen in sozialen Netzwerken spiegelten zudem eine antisemitische Grundeinstellung wider: So teilte ELGAZAR im September 2016 ein Video, in welchem eine Landkarte Palästinas ohne Israel gezeigt wurde. Zudem wurde der Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete, Mahmud ABBAS, als Verräter bezeichnet. ELGAZAR kommentierte das Video wie folgt:
„Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina – und wird es (wieder) werden.“ Dieses Video steht im Einklang mit der Ideologie der MB und der HAMAS, dem palästinensischen Arm der MB. ELGAZAR stellte sich damit sowohl durch das Teilen des Beitrages als auch mit seinem Kommentar eindeutig auf die Seite dieser verfassungsfeindlichen Bestrebungen.
Seine Nähe zur MB stellte ELGAZAR auch im Jahr 2022 unter Beweis. Anlässlich des Todes des religiösen Führers der Muslimbruderschaft, Yusuf AL-QARADAWI, am 26. September widmete ELGAZAR ihm eine Freitagspredigt. Dabei würdigte er ihn als einen besonderen Muslim. Seine außergewöhnliche Wertschätzung für den MB-Chefideologen kam auch in einem Trauergebet und zahlreichen, von ihm veröffentlichten Facebook-Beiträgen zum Ausdruck. So postete ELGAZAR auf seinem FacebookAccount diesbezüglich insgesamt 14 Beiträge, darunter auch verschiedene Videos und einen Link zur Internetseite des verstorbenen Scheichs. ELGAZAR selbst verfasste acht Kommentare zu seinen eigenen Beiträgen. Er betitelte AL-QARADAWI darin folgendermaßen: „der reformierende Rechtsgelehrte“, „der erziehende Mujahed“, „der Imam seiner Zeit“, „ein fleißiger Rechtsgelehrter“, „ein aufgeklärter Denker“ usw.
In der Abschiedsrede des Scheichs war für ELGAZAR eine „göttliche, wohltätige und zukünftige Vision für die Nation“ erkennbar. Laut ELGAZAR habe AL-QARADAWI eine „rationale, moderate Sichtweise“ gehabt. Mit dieser Aussage billigte ELGAZAR das vom Scheich geprägte Konzept der „Wasatiyya“, bei welchem es sich trotz der Bezeichnung nicht um ein gemäßigtes, sondern stattdessen um ein mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarendes Islamverständnis handelt. Schließlich wurde die Schaffung eines weltweit umfassenden islamischen Staates mit der Scharia als alleiniger Rechtsgrundlage als Ziel der MB wiederholt von AL-QARADAWI ausgesprochen und als langfristiges Ziel festgelegt. Darüber hinaus befürwortete er die Todesstrafe für Homosexuelle und glorifizierte Selbstmordattentäter als „Märtyrer“.
Einige der von ELGAZAR geposteten Facebook-Beiträge beinhalteten auch AL-QARADAWIs antiisraelische Haltung, wie z. B. folgende Äußerungen: „Es ist eine Schande, dass ein Muslim seinen Pass mit dem israelischen Siegel stempeln lässt und unter der israelischen Flagge und unter dem israelischen Schutz einreist…. Ich habe die Hoffnung, dass Allah (…) mein Augenlicht auf die Eroberung der Al-Aqsa-Moschee blicken lässt, so wie er mein Augenlicht auf den Sieg Ägyptens blicken ließ.“
Darüber hinaus befasste sich ELGAZAR im Berichtsjahr im Rahmen seiner Imam-Tätigkeit u. a. auch mit den Themen „Zeitgenössische Familienprobleme“, Ehestreitigkeiten“ und „Umgang mit Frauen“. Exemplarisch soll hier auf seinen „Lösungsvorschlag“ im Umgang mit der „widersetzlichen Ehefrau“ eingegangen werden. Seiner Ansicht nach und unter Berufung auf mittelalterliche Gelehrte sollen solche Ehefrauen gemäß diesen religiösen Texten durch Ermahnung, das Meiden im Ehebett und nicht heftiges Schlagen „therapiert“ werden. Bezeichnenderweise zitierte ELGAZAR dabei mehrmals Sayyid QUTB, den einflussreichen Ideologen der MB und einen der bedeutendsten islamistischen Vordenker des 20.
Jahrhunderts. Solche Veröffentlichungen tragen zur Verbreitung der ideologischen Grundsätze der MB bei und sind als eindeutiges Bekenntnis ELGAZARs zur MB zu werten. Sie unterstreichen auch seine Verbundenheit mit deren Führungspersönlichkeiten.
Solange das MKBD durch ELGAZAR geführt wird, ist davon auszugehen, dass seine Aktivitäten – verfassungskonform verschleiert – in Wahrheit solche der MB sind.